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Warum Feminismus auch Männersache ist.

Ein Statement
Maya Morlock, Junior Project Manager

Frauenquote, Gender Pay Gap und auf einmal hängt überall ein „*innen“ an – die Debatten um Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen häufen sich. Seit wir die Initiative Chefsache betreuen, die sich für Chancengerechtigkeit in der Arbeitswelt und mehr Frauen in Führungspositionen einsetzen, sehen wir noch genauer hin. Und spätestens durch Caroline Criado-Perez‘ Bestseller wissen wir nun: Frauen sind weltweit benachteiligt.

In „Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ weist Criado-Perez uns eindrucksvoll auf die sogenannte „Gender-Data-Gap“ hin. Frauen sind in entscheidenden Positionen und Debatten unterrepräsentiert, sodass unbewusst Geschlechter-Datenlücken entstehen – für Frauen oft mit dramatischen Folgen.

Wir zeigen euch drei überraschende Datenlücken:

Eine Frage der Relevanz?

Frauenkörper unterscheiden sich bis zur Zellebene von männlichen. Medikamente werden anders verstoffwechselt. Frauen zeigen meist andere Symptome und Nebenwirkungen als Männer. Wusstest du beispielsweise, dass Frauen bei Herzinfarkten meist keine Schmerzen in der Brust, sondern eher Übelkeit, Verdauungsprobleme und Müdigkeit verspüren? Die Datenlücke in der Medizin ist mittlerweile so groß, dass einige Behandlungsmethoden bei Frauen keine Wirkung zeigen oder durch das Fehlen von weiblichen Probanden in klinischen Studien gar nicht erst entdeckt werden. Dosierungen müssen sich beispielsweise an den Zyklus einer Frau und den damit einhergehenden Hormonhaushalt anpassen. Frauenkörper seien jedoch „zu komplex, variabel und für die Erforschung zu teuer“, sodass eine Vielzahl der Studien ausschließlich mit männlichen Probanden, Zellen und Tieren durchgeführt wird. Zeigt die Zelle keine Reaktion fliegt sie aus der Studie raus – dass weibliche Zellen womöglich anders reagiert hätten wird nicht berücksichtigt. Werden Frauen in Studien miteinbezogen, sind sie meist unterrepräsentiert. Und das sogar bei Krankheitsbildern, wie Depressionen, an denen überdurchschnittlich viele Frauen erkranken. Zuletzt werden Studien, die mit Männern und Frauen testen, nicht zwangsläufig nach Geschlecht aufgeschlüsselt. Eine differenzierte Betrachtung fällt erneut unter den Tisch.

Unter dieser Datenlücke leiden Frauen weltweit, nicht selten kostet sie das sogar ihr Leben. Ein angeblich revolutionäres künstliches Herz wurde 2013 erfunden. Doof nur, dass es für Frauen zu groß und daher unbrauchbar war. Es wird an einer kleineren Variante für Frauen gearbeitet, doch diesen Durchbruch werden schwer kranke Frauen leider nicht mehr erleben. 

Dies ist nur eines von vielen Beispielen aus der Medizin, doch es ist bezeichnend, dass in erster Linie an Männer gedacht wird. Forscher*innen haben abstruse Gründe dafür diese Lücke nicht zu schließen, wie zum Beispiel die offensichtlichen Unterschiede einfach zu ignorieren oder zu behaupten, weibliche Körper seien schlichtweg zu kompliziert. Wir fliegen mittlerweile mit Raketen zum Mond, aber Frauen zu erforschen ist zu schwer? Frauen die gleiche medizinische Versorgung wie Männer zu garantieren, scheint keine Priorität zu sein.

Eine Frage der Entscheidung?

Das Wort „Arbeit“ wird fälschlicherweise mit „Tätigkeit für Geldmittel“ gleichgesetzt. Dabei werden unbezahlte Leistungen wie Haushalt, Einkäufe, Organisation der Familie, Pflege kranker Familienmitglieder und vieles mehr komplett vergessen. Diese unsichtbare Arbeit fällt unter den Begriff „Care-Arbeit“. Zu 75% wird sie weltweit von Frauen geleistet, die damit unsere Gesellschaft maßgeblich zusammenhalten. Frauen erledigen im Schnitt drei bis sechs Stunden Care-Arbeit am Tag, Männer im Vergleich nur 30 Minuten bis zwei Stunden. Die logische Folge: Frauen sind gestresster und leiden häufiger an Depressionen. Eine kanadische Studie aus dem Jahr 2016 zeigte, dass sich Frauen aufgrund der Care-Last von schweren Erkrankungen langsamer erholen. Während Männer nach einer Bypass-Operation umsorgt wurden, nahmen Frauen in derselben Situation ihre Care- Arbeit umgehend wieder auf. Durch die Doppelbelastung verwundert es nicht, dass mehr Frauen in Teilzeit arbeiten als ihre Männer. Die langfristigen Folgen sind neben der psychischen Belastung auch finanzieller Natur, wie beispielsweise durch enorme Einbußen der Rentenbeiträge.

Man könnte nun argumentieren, eine Frau habe sich dafür entschieden in Teilzeit zu arbeiten. Doch gibt es eine echte Entscheidungsfreiheit, wenn die einzigen Alternativen sind, die Kinder unbeaufsichtigt zu lassen oder gar nicht erst welche zu bekommen?

Eine Frage des Bewusstseins?

Die meisten Geschlechter-Datenlücken entstehen unbewusst und ohne böse Absicht. Im folgenden Beispiel wurde sich sogar aktiv um Fairness bemüht. Doch ein genauer Blick auf die Fakten zeigt: Gleich ist nicht immer gerecht.

Wir kennen sie alle – die langen Schlangen vor öffentlichen Toiletten. Tatsächlich bekommen Männer und Frauen oft dieselbe Grundfläche für sanitäre Anlagen. Bedenkt man die zusätzlichen Urinale haben Männer plötzlich mehr Möglichkeiten auf derselben Fläche. Doch selbst beiden Geschlechtern dieselben Anzahl an Kabinen anzubieten löst das Problem noch nicht. Frauen müssen nachgewiesen öfter auf Toilette als Männer, brauchen im Schnitt zwei bis drei Mal so lange und werden öfter von Kindern und alten Menschen begleitet. Außerdem stellen sie die Mehrheit der behinderten und alten Menschen – um von Frauen, deren Aufnahmefähigkeit der Blase während der Schwangerschaft enorm abnimmt, gar nicht erst zu sprechen. Nach Berücksichtigung dieser Fakten wäre es fair, Frauen weitaus mehr Toiletten anzubieten.

Auch gängige Produkte werden unbewusst schon seit Jahrhunderten an die Einheitsgröße „Mann“ angepasst. 87% der Pianistinnen sind wegen der genormten Klaviatur aufgrund ihrer von Natur aus kleineren Händen benachteiligt.

Das Phänomen der „an Männer angepassten Produkte“ gibt es leider viel zu häufig. Apple Smartphones sind heutzutage so groß, dass Frauen schwer Fotos mit nur einer Hand machen können. Auch Sprachassistenten verstehen nachgewiesenermaßen Männerstimmen besser als die von Frauen. Besonders gefährlich: Frauen tragen ein weitaus höheres Risiko schwerer Verletzungen bei einem Autounfall, denn die Sicherheitsgurte werden anhand männlicher Crashtest-Dummies genormt.

Natürlich gefährden Männer Frauen nicht absichtlich. Diese Ungleichheiten sind Resultate der einseitigen Betrachtung und Auswertung von Daten. Um diese Lücke zu schließen, brauchen wir jedoch jeden.


Und um es in Criado-Perez‘ Worten zu sagen:
„Für die beharrlichen Frauen – bleibt verdammt nochmal schwierig!“

Photo by Lindsey MaLont on Unsplash